Relevanz verschiedener Informationskanäle
Diese Vereinfachung greift in der Schweizer Politik aber zu kurz. Nachwahlbefragungen* von VOTO und gfs.bern zeigen, dass die Reichweite die falsche Messgrösse ist, um den Wert eines Informationskanals für die politische Entscheidungsfindung zu definieren. Besser geeignet ist der sogenannte Nutzungsanteil. Dieser sagt aus, wie viele Prozent der Stimmenden einen Kanal effektiv für die politische Information nutzen. Der Nutzungsanteil misst die Relevanz für die Entscheidungsfindung somit deutlich genauer.
Die Rangliste 2022
Nachwahlbefragungen aus dem Jahr 2022 zeigen, dass das Abstimmungsbüchlein mit deutlich über 80 Prozent Nutzungsanteil der am meisten genutzte Informationskanal der Stimmbevölkerung ist. Nur knapp dahinter folgen Artikel in Zeitungen. Abstimmungssendungen am Fernsehen und Radio, sowie News-Seiten im Internet erreichen noch Nutzungsanteile zwischen 60 bis 75 Prozent.
Bei den gekauften Kanälen rangieren der Hauswurf (Abstimmungszeitung), Zeitungsinserate und Plakate mit einem Nutzungsanteil von ungefähr 60 Prozent ganz oben. Auch Leserbriefe in Zeitungen erreichen ähnliche Nutzungsanteile. Kommentare auf News-Seiten im Internet und Mitteilungen am Arbeitsplatz sind im hinteren Mittelfeld anzutreffen. Mit einem Nutzungsanteil von ungefähr 30 Prozent rangieren Social Media und Online-Videos abgeschlagen auf den letzten beiden Rängen. Warum die digitalen Kanäle von den Stimmenden trotz Rekord-Nutzerzahlen so wenig genutzt werden, ist nicht eindeutig belegt.
Umfeld, Stimmung und Glaubwürdigkeit
Die Erfahrung und Studien deuten jedoch darauf hin, dass das Umfeld (der Kanal) die Glaubwürdigkeit einer Botschaft beeinflusst. Wenn die eigene politische Werbung in einem Kanal eingebettet ist, der über eine hohe Reputation verfügt, so färbt dies positiv auf die eigene Glaubwürdigkeit ab, wodurch die Botschaft eine höhere Relevanz bekommt. Werden die Botschaften hingegen auf Kanälen platziert, die als qualitativ fragwürdig eingestuft werden, verliert auch die eigene Botschaft an Strahlkraft.
Ein zweiter Erfolgsfaktor ist die persönliche Stimmung bei der Kanalnutzung. Sehr vereinfacht ausgedrückt: Wer das Abstimmungsbüchlein öffnet, will sich höchstwahrscheinlich über die bevorstehenden Abstimmungen informieren. Auch Personen, die Zeitungen lesen, informieren sich bewusst und aktiv über das (politische) Geschehen. Politische Werbung passt in dieses Umfeld. Wer hingegen durch Ferienfotos von Freunden scrollt oder auf YouTube eine Anleitung sucht, wie man Ketchup-Flecken von einem Autositz entfernt, ist vermutlich nicht in der richtigen Stimmung, um Botschaften zu bevorstehenden Abstimmungen wahrzunehmen und richtig zu verarbeiten. Derartige Kontaktpunkte (Reichweite) haben darum wenig Relevanz für die Entscheidungsfindung.
Fazit für Kampagnen
Es genügt nicht, die Stimmbevölkerung einfach zu erreichen. Weiche Faktoren wie das Umfeld und die Glaubwürdigkeit eines Kanals, sowie die Stimmung bei der Nutzung des Kanals sind ebenso entscheidend. Die klassischen Print-Produkte bieten in diesen Bereichen gegenüber den digitalen Kanälen einen massiven Mehrwert. Der alte Spruch, dass Qualität ihren Preis hat, bewahrheitet sich auch bei politischen Kampagnen. Wer also ausschliesslich auf günstige, digitale Kanäle setzt, bezahlt den Preis dafür vermutlich am Abstimmungssonntag.
Ideal war, ist und bleibt die Kombination von verschiedenen Massnahmen mit einem sorgfältig geplanten zeitlichen Ablauf und einem Redaktionsplan. In diesen Mix haben auch die digitalen Kanäle ihren Platz. Sie eigenen sich beispielsweise für langfristig angelegte Kampagnen oder für die Bewerbung von Anlässen.
* Die Unterschiede zwischen den Kanälen sind so gross, dass die Hauptaussagen unabhängig von einem möglichen Bias bei der Nachwahlbefragung zutreffend sind.